Auch wenn jetzt einige ernstere Gedanken folgen, so habe ich natuerlich das Lachen und den Spass nicht verlernt. Aber zum Leben gehoert nun mal beides und davon mal eine Kostprobe.
Vorher noch das ruhige Feuer und chilenischen Rotwein genossen, jetzt sitze ich 7 Stunden im Bus, Richtung Mendoza. Da ist viel Zeit, bei herrlichem Blick in die schneeverhangenen Anden, seine Gedanken laufen zu lassen. Schon formulierte Gedanken aufzunehmen und alles in eine Form geben. Beschreiben wie Betrachtungsweisen, Lernprozesse und vieles mehr bei und in mir stattfinden. Zum Anderen natuerlich auch die Gedanken, die in unmittelbarer Weise mit meinen Reiseeindruecken zusammenhaengen.
Nun erst mal meine, vielleicht etwas philosophische Betrachtungsweise. Dabei immer locker bleiben, denn das Leben ist nicht nur schwer, es macht auch Spass.
So geschehen heute mit den Eindruecken in Mendoza, eine argentinienische Stadt, die mit dem Fussball lebt. Hier hat jeder Verkaeufer, selbst in der Apotheke, ein Trikot an. Kommt mir gelegen, das ist hier im Moment die Quelle des Fussballsportes. Lustig und abwechslungsreich auf der einen Seite, andererseits gehts auch woanders ab. Es gilt fuer mich zu lernen, Dinge (und damit meine ich Liebe, Eindruecke, Gefuehle, viele Gedanken) mit dem Herzen zu sehen. Diese Reise ist der Weg zu lernen, meinem Herzen naeher zu kommen. Und mit Naeherkommen ist auch immer ein Weggehen verbunden. Bis jetzt hatte ich Angst mit dem Weggehen alte Gewohnheiten loszulassen, weil ich Dinge nicht verlieren wollte. Weil des Menschen Sinn eben der ist, alles festzuhalten. Aber dieser Sinn hat sich ueber eine lange Zeit entwickelt. Der Mensch hat sich so entwickelt, ohne zu hinterfragen, ob das richtig ist. Eines ist es gewiss, es ist bestimmt bequem. Und aus der Bequemlichkeit heraus zu gehen, dass ist nicht so leicht. Der Mensch lebt schon tausende von Jahren. Jeder Mensch lebt schon tausende von Jahren. Und so kann nicht der Einzelne vorgeben, was richtig ist. Was richtig fuer ihn ist, das zu leben, eigentlich richtiger zu erleben (denn das ist der Ansatz in das Bewusstsein zu gehen) ist noch lange nicht richtig fuer einen Anderen. Also ist das grosse Wort TOLERANZ. In der Toleranz liegt die Weiterentwicklung.
Denn es geht um das Loslassen. LOSLASSEN heisst nicht, etwas verlieren. Das ist so, wie das Beispiel mit dem Schmetterling. Ich kann nicht etwas einsperren oder festhalten, um es zu behalten. Fuer mich ist das ein langer Weg es zu lernen. LERNEN heisst eben hier auch, es zu leben. Auf diesem Weg bin ich jetzt. Da ist eine Ahnung, dass ich mit dem weggehen und dem loslassen noch lange nicht etwas verliere. Denn nicht umsonst ist die Erde rund. Und wenn ich weggehe um loszulassen, dann ist es nur eine Frage der Zeit und der Strecke bis ich an den Punkt zurueck komme, wo ich losgegangen bin. An diesem Punkt werden immer noch die gleichen Menschen wohnen. Nichts habe ich dann verloren, nur habe ich eben gelernt wegzugehen und loszulassen.
Zur Zeit habe ich ein gutes Gefuehl dahin wieder zurueck zu kommen, wo ich gestartet bin. Denn so eine Reise um die Erde kann sehr lange dauern. Vielleicht nur ein Jahr, Jahre, Jahrhunderte oder noch sehr viel laenger. Dann ist es eine Reise um die Welt, die ja unendlich vorkommen kann.
Ich denke, bei mir ist das geplante Jahr ein guter Zeitraum. Ich komme dahin zurueck wo ich losgegangen bin und gehe auf den Menschen zu, der mich gehen liess. Und ich freue mich, meine Freundin, alle Geschwister, die Eltern, Freundinnen und Freunde, Kolleginnen und Kollegen, ja mein geliebtes Koelle wieder zu sehen. Dann werde ich ein Jahr aelter sein, etwas grauer, aber viele, viele Jahre des gelebten Festhaltens gelernt haben, loszulassen. Und ich hoffe, dass Toleranz ein Teil meines Denkens geworden ist. Mit Toleranz verbindet sich Vertrauen, das Akzeptieren der und des anderen Menschen, seiner individuellen Lebensformen und Eigenarten. Auch wenn sie sich ueberhaupt nicht mit den Eigenen decken.
So, das ist der eine Teil meiner Ueberlegungen. Die andere Seite ist das konkrete Erleben, wie und was in mir so in 4 Monaten abgegangen ist. Da spielen natuerlich Reiseeindruecke, fremde Menschen, andere Laender, Kulturen und Religionen eine grosse Rolle.
Vier Monate Mittel- und Suedamerika, da heisst es langsam Abschied nehmen.
Mexico, Guatemala, Peru, Bolivien und noch ein klein wenig Chile und Argentinien, das waren die ersten Stationen meiner Reise. Ich sage Abschied nehmen, obwohl das so nicht ganz richtig ist. Denn ich bin hier nie wirklich angekommen.
In der letzten Zeit habe ich versucht Menschen zu fotographieren. Menschen, die mich unbewusst die Monate begleitet haben. Das hat sich oft sehr schwierig gestaltet, denn sie moechten nicht auf ein Foto. Das respektiere ich, also die Kamera unauffaellig vor den Bauch gehalten, ohne Blick durch den Sucher, pfeifend in eine andere Richtung geschaut und gehofft, dass es was wird.
Es ist irgendwie zwiespaeltig, so eine Reise in diese fremden Laender, mit Menschen, die in einer ganz anderen Welt leben. Mittel- und Suedamerika sind teilweise sehr guenstig zu bereisen und mit dem Bus kommt man in die kleinsten Doerfer, aber ich habe nicht das Gefuehl, die Laender gespuert zu haben. Da sind fuer mich die Unterschiede doch zu gewaltig. Es sind teilweise sehr arme Laender, aber ich kann noch nicht einmal sagen, ob die Menschen hier gluecklich, traurig, zufrieden oder unzufrieden sind.
Es ist mir nicht moeglich mehr ueber Kultur, Religion oder Denkensweisen zu sagen, als es die Reisefuehrer vorgeben. Und Staedte wie Antigua oder Cusco sind sicherlich bequem zu leben, aber sie spiegeln nicht die Bewohner Guatemalas oder Perus wieder. Der Tourismus und alles was damit zu tun hat, der laeuft auf einer anderen Ebene. Das muss ich mal so deutlich sagen, denn es hier ist ein angenehmes und sehr preisguenstiges Unterwegs sein. Das macht Spass, es entsteht der Eindruck die Welt zu sehen, aber ich sah die Menschen nicht.
Wenn ich ueber einheimische Maerkte ging, im hektischen Trubel dort einkauft habe, an langen Tresen die einheimische Garkueche probierte, ja dann war ich mitten drin und doch weit aussen vor. Wenn sich ab und zu Tueren der Haeuser oeffneten, ich ein klein wenig mehr von den Lebensumstaenden erahnen konnte, so stand ich doch nicht im Haus. In ueberfuellten Bussen abgelegene Doerfer zu erreichen, eingeklemmt zwischen riesen Stoffballen, das schlafende Kind an meiner Schulter, mit den Menschen neben mir mit Haenden und Fuessen gesprochen,
das war alles Realitaet, aber weit am realen Leben vorbei.
Ab und zu gab es aber auch kleine Momente des Naeherkommens. Als mir Guadelupe (meine Spanischlehrerin) aus ihrem Leben erzaehlte, ihre Wuensche und Traeume preisgab. Oder der alte Fischer, der jeden Abend auf dem Steg in Copacobana sehnsuchtsvoll in der untergehenden Sonne auf den Titicacasee blickte. Er sprach mit mir wie mit seinem Sohn, legte seine alte zittrige Hand auf meine Schulter und schwaermte von vergangenen Zeiten. Da standen uns beiden die Traenen in den Augen.
Auch die Besitzerin des kleinen Restaurantes am See hatte so ihre Vorstellungen. Oft, wie auch hier, drehte es sich um Familie und Kinder. Sie haette gern ihre Tochter verheiratet. Die sass boese blickend neben mir und erzaehlte von der schlechten Erfahrung mit einem Deutschen. Dafuer war ich in diesem Moment ganz dankbar, denn langsam wurde mir die Situation doch ein wenig brenzlig. Aber auch diese sehr intimen Erlebnisse sind weit davon entfernt, ein Land und seine Bewohner kennen zu lernen.
Das sage ich hiermit nur klaerend, das ist kein Bedauern, keine Traurigkeit sondern nur eine Feststellung nach fast 4 Monaten.
Fuer mich ist ja auf der Reise auch wichtig, was so mit mir geschieht. In neue Dinge zu gehen und lernen nach innen zu schauen. Aufmerksam zu fuehlen was dann passiert. Und da ist bis jetzt ne ganze Menge passiert. In manchen Sachen habe ich gelernt ueber meinen Schatten zu springen. In und auf Aengste zuzugehen.
Demut habe ich gelernt. Viel Respekt habe ich vor den Menschen gewonnen, die mit Disziplin in ihrer Arbeit aufgehen oder mit Eifer eine Sache betreiben. Ich lerne also langsam Toleranz, verliere ein wenig von meiner Starrkoepfigkeit. Ja und ich gewinne Boden unter den Fuessen.
Tatsaechlich, obwohl nur 4 Monate, das und vieles mehr beginnt sich langsam zu aendern. Ich lerne mit einigen Gefuehlen besser umzugehen, weil ich lerne mich selbst gern zu haben.
Es gibt Momente, da finde ich mich sogar richtig klasse. Auch wenn es vielleicht fuer Aussenstehende befremdlich aus meinem Mund klingt, ja ich werde etwas selbstsicherer. Und diese Selbstsicherheit moechte ich ganz tief in mir tragen.
Woran kann ich das alles erkennen und festmachen kann? An meinen Gedanken, an der Unruhe in mir, die beginnt sich zurueck zu ziehen.
Natuerlich geschieht das alles seehhhhr langsam, Schrittchen fuer Schrittchen. Despacio, wie ich von meiner Spanischprofessorin gelernt habe.
Denn nicht vergessen, ich spreche hier von einem Zeitraum von 4 Monaten und damit kann ich natuerlich nicht 50 Jahre aendern. Aber ich bin ein Mensch, der will etwas aendern. Ich konnte mir nicht helfen, in dem ich sagte, Thomas schau nach vorn, da ist das Leben. Ich bin ein Mensch der zurueck sehen muss, der die Vergangenheit ansehen will, um sein Verhalten im Heute zu verstehen, es auch annehmen und damit zufrieden auf Morgen blicken kann (Frank, danke fuer Deine Mail).
Nun, diese 4 Monate hatten es in sich. Neben den vielen Eindruecken der Reise, war ich auch oft bei und mit mir allein. Da hat diese Einsamkeit, das Allein sein, naechtelanges Wachliegen, die Auseinandersetzung mit mir und meiner Gedankenwelt ein ganz klein wenig etwas verschoben. Um das alles in wenige Worte zusammen zu fassen, ein kleines Gedicht.
Aus dem Kreis drehn
Lerne am Morgen die Feen sehn
beginne weite Wege zu gehn
lebe am Tag Gedanken verstehn
atme Zeiten vergehn
werden am Abend die Feen verwehn
Jetzt beginnt bald in Neuseeland ein neuer, spannender Abschnitt. Den werde ich allerdings erst einmal sehr ruhig angehen lassen. In Ruhe und vor allem Konzentration mache ich vom 12-23. Juli im Vipassana Zentrum noerdlich von Auckland, in Kaukapakapa, meine 11-taegige Schweigemeditation.
Ja und dann steht Neuseeland gross und einladend vor mir.
Mit viel Freude sage ich nun Danke und langsam diesen vergangenen 4 Monaten adieu, adieu an Laender die ich vielleicht nicht tief erfahren habe, aber Laender in denen ich fast immer freundlich empfangen wurde.