Der erste Tag
Nach der "worlds most dangerous road" in der letzten Woche habe ich nun den Entschluss gefasst, zwei weitere ausserordentliche Strecken zu fahren. Strecken, die es in sich haben, die nur von einer Hoffnung leben, der Hoffnung wieder gesund anzukommen. Am ersten Tag in luftige kalte Hoehen, der zweite Tag ging es durch unergruendliche Dschungelgebiete.
Dazu musste erst mal La Paz verlassen werden. Es ist immer wieder unglaublich, diese in den Hang gebaute Millionenstadt zu sehen. Und wenn dann nach langer Zeit die obere Kante der Stadt erreicht ist, dann erstreckt sich ueber eine unueberschaubare Flaeche das Armenviertel el Alto mit 1,3 Mio Menschen.
Weiter ging es mit dem Auto zum Startpunkt der Fahrt, in das 5.300 m hochgelegene Skigebiet Chacaltaya. Mit Blick auf den Huayna Potosi von 6088 m. Dieser Berg kann in 2 Tagen bezwungen werden. Ich habe da so eine Idee im Kopf, will nicht sagen was, sage nur R. Messmer.
Nun aber zum Bike. Unglaublich der Schnee, aber auch unglaublich frisch hier oben. Das schoene bei diesen langen, niemals endenden Autofahrten den kalten Berg hinauf ist, dass kann alles mit dem Radl wieder runter gebrettert werden. Diesmal gab es zu Beginn eine lange Einfuehrung in die Technik des Herunterstuerzens.
Wie lege ich mich in die Kurve, wie und wo fahre ich sie an, wo stehen die Pedalen, wie behutsam behandele ich den Bremsgriff ohne mit einem Satz (guenstiger Fall nur ueber das Bike, unguenstigen Fall weit ueber das Bike direkt in den Abgrund) den riesen Stunt hin zu legen. Denn ein Ziel hatten wir mit unserer Fahrt ganz bestimmt nicht vor Augen, wenn auch in herrlicher Lage; die Begraebnisstaetten der Einheimischen Bergbewohner.
Also ging es vorbei an Gletscherseen, alten verlassenenen Minen und immer den Blick nach vorn, denn hinter der naechsten Kurve konnte schon eine Ueberraschung stehen.
Selbstverstaendlich zeigte sich die Natur in ihrer ganzen Staerke. Wir waren froh, dass sie es zuliess, wie wir uns da austobten. Da liessen wir es uns auch nicht nehmen, mal ein wenig in Position zu gehen.
Und dann kamen eine nie gezaehlte Anzahl von Haarnadelkurven, die in das Tal fuehrten.
Heute war es meine perfekte Technik, die mich in einen Rausch steigern liess. Da wuchs ich ueber mich hinaus, nahm Kurve um Kurve in gefaehrlicher Schraeglage, taeschtelte den Bremsgriff und flog nur so ueber Stock und Stein in das tiefe Tal hinein.
Als ich dann am Ende dieses Hoellenrittes im eiskalten River ein Bad nahm, da war ich fuer mich ein kleiner Held. Als sich dann auch noch in unmittelbarere Naehe ein riesengrosser, blaugruener Papagei zu mir ans Ufer setzte da fuehlte ich, dass sich heute auch die Natur vor mir verbeugte.
Der zweite Tag
Ein anstrengend, fazinierenderTag neigt sich dem Ende, denn nun sitze ich hier unten in Yolasa, heil angekommen in 1100 m Hoehe mit einem herrlichen Blick in das Tal, die Flasche eines bolivanischen Rotweines steht geoeffnet und schwer atmend neben mir, ich bin fix und foxi, eine Nebelwand schiebt sich langsam vor die majestaetischen Berge, der Papagei unter mir versucht laut schreiend im Baum die Mandarine zu oeffnen, der Adler zieht erhaben seine letzten Runden, jetzt oeffnet sich meine sentimentale Ader, ich fange ich vor lauter Glueck und Anstrengung an zu weinen, ich kriege einfach nicht die Kurve und der Satz wird immer laenger.
Mal kurz und knapp, eine Steigerung von gestern war tatsaechlich noch moeglich, denn ich habe die phantastischste Mountain Bike Tour hinter mir, schoener und anstrengender haette ich sie mir nicht in meinen kuensten Traeumen vorstellen koennen. Beginnend in la cumbre auf 4750 m Hoehe sind wir heute mit einem erfahrenen Guide in einer kleinen Gruppe Wahnsinniger, eine alte nicht mehr genutzte Dschungelstrasse gefahren (vor langer Zeit sogar eine Eisenbahnstrecke, unglaublich).
Also genutzt wird diese Strasse schon und zwar von Cocabauern, warum auch Radler nicht so gern gesehen sind. Und diese Strasse hatte es in sich. Die letzte Regenperiode hat tiefe Furchen in der Strasse hinterlassen. So tief, wie ich sie selten in den Gesichtern alter bolivianischer Bauern sah.
Diesem halbverfallenen Weg sah man auch deutlich an, dass der Dschungel ihn sich wiederholen wollte. Denn zeitweise war kein Weg mehr zu erkennen. Dann gab es keine andere Moeglichkeit, als sich mit den maechtigen Schlaegen der Machete einen Weg zu bahnen. Die Fahrt dauerte 6 1/2 Stunden.
In dieser Zeit hatte ich mein Bike ungefaehr 1 Stunde auf dem Buckel. Nicht nur, dass die Knie aufgeschuerft von kleineren Stuerzen waren, die Arme blutig aufgerissen von den immer wieder versperrenden Lianen und dornigen Kletterranken, die Moscitos meine freien Hautstellen als Menueeinladung sahen, nein die Schulter war auch noch blau vom Sattel.
Jetzt schreibe und schreibe ich und noch kein Wort von der Tour. Wie auch, tief sitzt noch der Eindruck, als die Strasse ganz abgerutscht war. Da wurden Aeste zusammen gebunden und auf den verbleibenden Rest von Steinen gelegt. So ergaben sie zumindest den Halt, um sich an einer 150 m Schlucht mit dem Fahrrad auf dem Buckel, gebueckt unter dem Felsvorsprung vorbei zu hangeln. Und auf seine Schuhe vertrauend, dass sie nicht gerade in diesem Moment mal abrutschen.
Oder auch der Abgang eines ganzen Hanges. Da legt sich das Geroell leider nicht so, dass ich es problemlos passieren kann. Nein vermischt mit grossen Baeumen, dicken Wurzeln und was sonst noch so dem Urwald einfaellt, gab es kein Durchkommen.
So ist das nicht richtig, es gab immer ein Weiterkommen. Es gab auch Steigungen die nicht zu enden schienen. Die mir deutlich vor Augen fuehrten was Demut ist. In Demut Dinge erkennen, aber auch die Demut, sich selbst und die Steigungen zu akzeptieren und an seine Kraft zu glauben. Eben aus dieser Kraft und unendlicher Anstrengung zu zehren, die Steigungen mit Traenen der Verzweiflung allein zu schaffen. Denn hier war jeder auf sich allein gestellt, hier gab es keine Hilfestellung oder Moeglichkeit des Abbruches.
Einmal die Fahrt begonnen, musste ich sie allein beenden. Weiter ging es in Einsamkeit durch Bachlaeufe die sich breit machten und somit der Sturz vorprogramiert war , matschige, morastige, tiefe Rillen und Steine die keine Unaufmerksamkeit verzeihen, hinter herabstuerzenden Wasserfaellen vorbei. Nach so einer Tortour den Berg hinauf, dann aber das, was folgen musste, Abfahrten die ich natuerlich nicht in Bildern fassen kann. Wie es ueberhaupt schwer faellt zu photografieren und gleichzeitig zu fahren. Das Fahren hatte es mehr und mehr in sich, denn im Laufe der Fahrten verbesserte sich meine Technik.
Die Technik die so wichtig ist, ueber Baumstaemme zu jumpen, den kreuzenden Bach im Affenzahn so zu passieren, dass man nicht mittendrin landete. Ja und eine verbesserte Kurventechnik, die es ermoeglichte die Finger von den so lebensnotwendigen Bremsen zu lassen und sich driftend, schliddernd, und hauptsaechlich betend die Abhaenge herunter zu stuerzen. Vorbei an der unterschiedlichsten Flora des Dschungels.
Ueber rotgruenen Teppichen aus Moos verneigten sich Farnblaetter so gross wie Bettdecken und in einer Vielfalt wie ich sie noch nie gesehen habe, wechselten sie sich weiter unten mit den schoensten Bananenblueten ab. Entlang den Bergkanten ging es direkt neben dem Weg teilweise hunderte Meter tief.
Bei hohen Geschwindigkeiten die steilen Wege hinab, durfte ich mir ueber moegliche Materialermuedungen, einen platzenden Reifen oder einen nicht richtig angefahrenen Stein keine Gedanken machen. Denn sonst haette ich sie mir noch ein letzes Mal im freien Fall durch den Kopf gehen lassen koennen. Das war ein ganz besonderer Kick, dieses Hinunterstuerzen in das rettende Dorf heute.
Nun gibt es keinen atmenden Rotwein mehr, ein letzter Blick auf die leuchtenden Berge, und die Hoffnung, dass ich es mit den mueden Knochen (heute spuere ich jeden Einzelnen im Koerper) bis zum Bett schaffe. Das ist hier in dem Dorf nicht einfach, weil es schon seit zwei Tagen kein Strom gibt und mit nur wenigen Kerzen alles dunkel bleibt. Aber langsam spuere ich auch, wie sich diese Dunkelheit ausdehnt und ich nur noch fuehle, wie mich ein grosses Farnblatt liebevoll schuetzend umhuellt und mich langsam in den wohlverdienten Schlaf wiegt.